»Stiftungen gestalten Zukunft«
Dieser Beitrag von Prof. Dr. Andreas Schlüter, ehem. Generalsekretär und Ehrenkurator des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft und Vorstandsmitglied der Stiftung Preußische Seehandlung seit 2006, erschien im Magazin, das anlässlich des 40-jährigen Stiftungsjubiläums im September 2023 veröffentlicht wurde.
© David Ausserhofer
Der Weg ins Hauptstadtbüro des Stifterverbandes führte mich in meiner aktiven Zeit regelmäßig am Forum der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung vorbei, in dem die Erinnerung an einen der größten Politiker der Bundesrepublik bewahrt wird. Dort ist unter anderem folgendes Zitat zu lesen: »Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.« Und auch wenn der ursprüngliche Kontext des Zitats ein ganz anderer ist, verstand ich es immer auch als ganz konkreten Handlungsauftrag an alle, die in und für Stiftungen in der Verantwortung stehen. Nicht zuletzt deshalb, weil es mich an einen ganz ähnlichen Satz von Lord Dahrendorf erinnerte, der noch einen entscheidenden Schritt weitergeht: »Mir scheint es wichtig zu sein, die Stiftungen an die Tatsache zu erinnern, dass ihre Rolle im Grunde genommen antizyklisch sein muss. Für eine private Stiftung ist es einfach nicht gut genug, ein Teil des Zyklus, das heißt der Entwicklungen zu sein, die sich ohnehin vollziehen.«
Stiftungen können Neues wagen, Dinge ausprobieren, Ideen eine Chance geben. Sie können verkrustete Strukturen aufbrechen und dem ganzen Land in vielerlei Hinsicht den Weg weisen. So können sie mit ihren begrenzten Mitteln fast unbegrenzte Wirkungen erzielen – und haben es auch immer wieder getan.
Ich meine, und so verstehe ich auch die beiden Zitate im Zusammenhang: Genau weil sie es können, müssen sie es auch tun. Denn das ist ihre große Stärke und letztlich auch ihre Existenzberechtigung. Stiftungen müssen Vorreiter sein. Um den Wandel voranzutreiben, müssen sie sich selbst kontinuierlich verändern. Dazu brauchen Stiftungen ein klares Profil und eine Vision von dem, was sie erreichen wollen. Sie müssen mutiger werden und besser zusammenarbeiten, den Erfolg und die Wirkung der eigenen Arbeit überprüfen, dabei große Themen wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Blick behalten und noch stärker als bisher den Dialog mit der Öffentlichkeit suchen. Stiftungen müssen, kurz gesagt, selbst immer besser werden, wenn sie die Welt verbessern wollen.
Und zu verbessern gab und gibt es vieles. Die Herausforderungen sind aktuell so groß, dass immer häufiger der Begriff »Multikrise« oder »Polykrise« zu hören oder zu lesen ist: Eine plötzliche Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, verbunden mit politischer Instabilität und wirtschaftlicher Unsicherheit, neben allem eine kritische, demografische Entwicklung mitsamt Fachkräftemangel und nicht zuletzt der Klimawandel, der uns alle besonders fordert. Vieles ist bedroht, was lange als selbstverständlich galt. Mit Blick auf die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Systeme erscheinen Kippmomente allgegenwärtig und die Grundlagen von Prosperität und gesellschaftlichem Fortschritt gefährdet. Angesichts dieser neuen Fragilität – eine Fragilität, die den meisten Menschen wohl nur noch aus Geschichtsbüchern bekannt sein dürfte – fällt es schwer, nicht die Zuversicht zu verlieren.
Doch Resignation ist keine Alternative. So steht auch der Begriff »Krise« in seiner ursprünglich griechischen Bedeutung nicht für Kollaps, Endzeit oder Zusammenbruch, sondern für die Beurteilung und Entscheidung an einer Weggabelung. Mit anderen Worten: für das, worauf es ankommt, wenn man mit den Herausforderungen des Wandels konfrontiert wird. Anstatt also zu resignieren, heißt es jetzt viel mehr, Gesellschaft zu gestalten – zum Besseren.
Stiftungen spielen dabei eine große Rolle, denn sie zeigen immer wieder, welche Ansätze es gibt, um Herausforderungen zu meistern und gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Das betrifft nicht nur die großartigen Hilfen bei plötzlich auftretenden Krisen oder Katastrophen, die schnell und unbürokratisch große Not lindern können – der Ukrainefonds der Stiftung Preußische Seehandlung ist hierfür ein gutes Beispiel. Auch darüber hinaus haben viele Stiftungen bereits sehr kluge Antworten gefunden. Sie beschäftigen sich mit den großen Zukunftsthemen, unterstützen besonders innovative Projekte oder haben ihren eigenen Auftrag und ihre eigene Arbeit vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen ganz neu interpretiert.
Diese Beispiele machen Mut. Sie zeigen, dass Stiftungen heute mehr denn je das Potenzial haben, unsere Gesellschaft und unser Leben auf allen Ebenen nachhaltig zu verändern – und dass sie es, wenn sie neue Antworten finden, auch tatsächlich tun. Kultur und Wissenschaft sind dabei meiner Ansicht nach zwei ganz zentrale Hebel, denn sie tragen entscheidend dazu bei, eine vielfältige, aufgeklärte, dynamische und innovative Gesellschaft zu befördern. Kultur und Wissenschaft – die Förderschwerpunkte der Stiftung Preußische Seehandlung – schaffen Bildung, sozialen Zusammenhalt, wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritt. Sie sind unverzichtbar für eine Gesellschaft, die nachhaltigen Wandel und eine lebenswerte Zukunft gestalten möchte.
Sehr herzlich gratuliere ich der Stiftung Preußische Seehandlung zu 40 Jahren Kultur- und Wissenschaftsförderung in und für Berlin! Mit ihren Aktivitäten hat die Stiftung gezeigt, dass sie – um mit Willy Brandt zu sprechen – stets auf der Höhe der Zeit ist und dass sie mit ihrer von Kontinuität geprägten Arbeit sehr vieles von Dauer schafft. Mit einer klaren Vision vor Augen. Und einer Wirkung weit über die Stadtgrenzen hinaus.