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Theater

Rückblick: Theaterpreis Berlin an She She Pop

Veröffentlicht am 5 Mai 2019

Für seine besonderen Verdienste um das deutschsprachige Theater zeichnete die Stiftung Preußische Seehandlung das Performancekollektiv She She Pop (d.s. Mieke Matzke, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Elke Weber und Sebastian Bark) mit dem Theaterpreis Berlin 2019 aus.

Der mit 20.000 Euro dotierte Theaterpreis Berlin wurde am 5. Mai 2019 im Rahmen des 56. Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele vom Regierenden Bürgermeister und Vorsitzenden des Rates der Stiftung Preußische Seehandlung, Michael Müller, verliehen.

Theaterpreis Berlin 2019 © gezett

BEGRÜNDUNG DER JURY

Als sich 1993 die Studentinnen Mieke Matzke, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf an der Universität Gießen für das Szenische Projekt «Sesam, Sex und Salmonellen» zusammentaten, hätte kaum jemand vermutet, dass das frisch gegründete Performancekollektiv She She Pop einmal Theatergeschichte schreiben würde. Vier Studentinnen lasen, inspiriert von Marina Abramovics «Biography», aus ihren vertauschten Teenager-Tagebüchern vor – am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft galt damals schon ein erweiterter Theater- und Performancebegriff. Diesem Ansatz sind die mittlerweile acht ständigen Mitglieder – d.s. neben den eingangs genannten Gründungsmitgliedern Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Elke Weber und Sebastian Bark – erstaunlich treu geblieben.

Wie kaum eine andere Theatergruppe hat She She Pop das Individuelle und Kollektive immer wieder neu zum Spielmaterial gemacht. Ob mithilfe von Gameshow-Dramaturgien in den frühen Arbeiten, wo die Performerinnen miteinander in Wettstreit traten, ob im Dialog mit ihren Vätern, Müttern oder ost- sozialisierten Kolleg*innen: Stets sammelte She She Pop subjektive Erfahrungen, um sie mit und gegenüber dem Publikum zu kollektivieren. Dabei wählen sie ihre Fragestellungen entlang ihrer Lebensphasen, angefangen beim Selbstbild als junge Künstlerinnen, die sich auf einem männerdominierten Theater-«Markt» erst erfinden müssen, über die eigenen Familiengründungen und Generationenkonflikte hin zu Fragen sozialer Gerechtigkeit und Möglichkeiten der Solidarität. She She Pop finden dabei Wege, auch beklemmende Gefühle wie Neid oder Scham unverblümt anzusprechen und in eine befreiende Bühnensituation einzuspeisen, die sie als «utopische Kommunikation» bezeichnen.

She She Pop haben mit ihren klugen und unterhaltsamen, im besten Sinne populären Bühnenarbeiten nicht nur mit dazu beigetragen, neben dem traditionellen Regie- und Literaturtheater die Praxis kollektiver Autorschaft zu etablieren. Sie haben auch eine ihnen gemäße, solidarische Arbeitspraxis entwickelt, einen feministischen Gegenentwurf zu den herkömmlichen Strukturen am Stadttheater. Die dabei entstehenden Reibungen fließen sofort in die Kunst zurück, getreu der weisen Einsicht: «Wir sind uneins und sehen das als Bereicherung».

Die Jury: Eva Behrendt, Prof. Dr. Michael Börgerding, Dr. Thomas Oberender mit Yvonne Büdenhölzer