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Theater

Rückblick: Theaterpreis Berlin an Christopher Rüping

Veröffentlicht am 5 Mai 2025

Der Theaterpreis Berlin 2025 wurde am 04.05.25 an den Regisseur Christopher Rüping durch Sarah Wedl-Wilson, Staatssekretärin für Kultur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, in Vertretung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin und Stiftungsratsvorsitzenden der Stiftung Preußische Seehandlung, Kai Wegner, vergeben.

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Fotos: Fabian Schellhorn

Zu Beginn der Veranstaltung, die von Anna Drexler moderiert wurde, begrüßten der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Preußische Seehandlung, Dr. Hans Gerhard Hannesen, der Indendant der Berliner Festspiele, Matthias Pees, sowie die Staatsekretärin für Kultur, Sarah Wedl-Wilson, das Publikum. Das künstlerische Rahmenprogramm mit Maja Beckmann, Christoph Hart, Nils Kahnwald, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer, Damian Rebgetz und Steven Sowah wurde von der Dramaturgin Katinka Deecke eingerichtet und ausgearbeitet.

Die Laudatio hielten gemeinsam: Maja Beckmann, Nils Kahnwald, Benjamin Lillie und Wiebke Mollenhauer.

In seiner Replik teilte Christopher Rüping mit, dass er das Preisgeld nicht annehmen könne und an die von den Kürzungen des Senats betroffenen Organisationen und Institutionen spenden werde. Der Theaterpreis der Stiftung ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jährlich durch eine unabhängige Jury vergeben. Das Preisgeld wird vollständig und seit der erstmaligen Vergabe im Jahr 1988 aus Mitteln der Stiftung Preußische Seehandlung bereitgestellt. Die Stiftung finanziert sich aus eigenen Mitteln und agiert finanziell unabhängig vom Landeshaushalt. Die Preisverleihung selbst wird durch einen Zuschuss der Senatskanzlei Berlin ermöglicht.

Dr. Hans Gerhard Hannesen, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Preußische Seehandlung über die Entscheidung des Preisträgers, das Preisgeld zu spenden: „Die Debatte um öffentliche Kulturförderung ist wichtig. Umso mehr liegt es uns am Herzen, die Rahmenbedingungen des Theaterpreises der Stiftung Preußische Seehandlung sachlich zu erläutern. Wir respektieren Christopher Rüpings Entscheidung ausdrücklich – sie ist ein starkes Zeichen künstlerischer Verantwortung und zivilgesellschaftlicher Haltung in einer kulturpolitisch schwierigen Zeit.“

Christopher Rüping erläutert: „Meine Entscheidung, das Preisgeld an die von den Kürzungsplänen betroffenen Institutionen zu überweisen, ist eine Reaktion darauf, dass der Theaterpreis Berlin vom Regierenden Bürgermeister verliehen wird, der gleichzeitig auch der Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Preußische Seehandlung ist. Da dieser gemeinsam mit dem Senat, dem er vorsitzt, die massiven Kürzungen verantwortet, fühlt es sich für mich falsch an, das Preisgeld anzunehmen. Ich danke der Stiftung Preußische Seehandlung dafür, dass sie diese Entscheidung respektiert, und für ihr Engagement zur Förderung von Kunst und Kultur, das in diesen Zeiten wichtiger ist denn je.“

Die Jury, bestehend aus Eva Behrendt, Matthias Pees, Prof. Dr. Matthias Warstat und in beratender Funktion Nora Hertlein-Hull, begründet ihre Entscheidung wie folgt:

Das Theater von Christopher Rüping ist zuallererst: offen. Offen gegenüber dem Publikum, dem das Ensemble auf Augenhöhe begegnen will. Offen in seiner Haltung gegenüber den dunkelsten Emotionen, die sich die Schauspieler*innen, ihre Figuren und das Publikum gemeinsam in der öffentlichen Intimität der Bühne anschauen. Offen in der Stoffwahl, die sich von der Antike über den Kanon der Moderne bis zum zeitgenössischen Roman auf so ziemlich alles einlässt, was ein gegenwärtiges Lebensgefühl, die Menschheitsthemen Zugehörigkeit, Verlust und Utopie beschreibt. Offen und frei nicht zuletzt in seiner Form, die für jede Inszenierung neu gefunden wird oder sich sogar, wie etwa im Falle des zehnstündigen Antiken-Marathons „Dionysos Stadt“, im Laufe ein und derselben Produktion mehrfach radikal wandeln kann. Das Theater von Christopher Rüping prägt und ermöglicht eine Offenheit und Freiheit, eine Autonomie und Solidarität, die sich im Spiel der Darsteller*innen und in ihrem Umgang miteinander und mit uns, ihren Zuschauerinnen, ebenso widerspiegelt wie in der Arbeit des gesamten Teams an und in der Inszenierung.

 Christopher Rüping, geboren 1985 in Hannover, ausgebildet in Hamburg und Zürich, stellt in seiner Arbeit transparente Verbindungen her zwischen Einfühlung, Illusion und Verfremdung, Schauspiel- und Performancekunst, realen Personen und fiktiven Figuren. Nicht immer geht es dabei versöhnlich zu, selten pädagogisch. Oft schlagen seine Abende plötzlich wilde Haken, werfen Gewissheiten über den Haufen – als hätten sich Regie und Team während der Proben immer wieder selbst überrascht. Eine Schauspielerin verlässt plötzlich das Theater und springt in den nahen See („Gier“ von Sarah Kane), ein Stück über Trauerarbeit kippt in wüstesten Splatter („Trauer ist das Ding mit Federn“ von Max Porter), ein bis ins Detail liebevoll rekonstruierter Erinnerungsraum von Jonathan Merz wird schon nach 15 Minuten wieder abgebaut („Einfach das Ende der Welt“ von Jean-Luc Lagarce). Und doch scheinen diese Brüche und Perspektivwechsel unerwartet folgerichtig, gehorchen einer inneren Logik.

 Zur Offenheit gehört auch, dass Christopher Rüpings Theater für ein neues Männer- und Regiebild jenseits von Heldentum, Geniekunst und Dominanz steht. Seine Inszenierungen bestehen nicht nur meist locker den Bechdel-Test, dramatisieren Texte von Autor*innen oder stellen ausdrücklich Frauen in den Mittelpunkt, sie zeigen außerdem Männer, die an sich zweifeln und an der Welt verzweifeln, die fürsorgend und verletzlich sind, die noch lernen zuzuhören. Auch als Regisseur weiß Christopher Rüping, dass „Gruppen, die etwas miteinander versuchen“, mehr Chancen haben, etwas zu verändern, als Einzeltäter*nnen. Seine Kunst, im Kollektiv zwischen lauter Künstler*innen zu vermitteln und verschiedenen Ideen Raum zu geben, führt zu eben jener ungeschützten Offenheit und Aufbruchslust, die Kunst und Gesellschaft gerade sehr gut vertragen können.