Theaterpreis Berlin an Sivan Ben Yishai
Der Theaterpreis Berlin ging im Jahr 2023 an die Dramatikerin Sivan Ben Yishai
Der mit insgesamt 20.000 Euro dotierte Theaterpreis Berlin 2023 der Stiftung Preußische Seehandlung wurde am Samstag, den 20. Mai 2023 um 12.00 Uhr im Haus der Berliner Festspiele verliehen.
In der Jurybegründung zur Preisvergabe heißt es: »Das Prädikat ‚radikal‘ mag überstrapaziert sein. Für die unlängst in der Kritiker:innenumfrage der Zeitschrift ‚Theater heute‘ zur Dramatikerin des Jahres 2022 Gewählte passt es perfekt. Radikal ist ihr Mut, radikal ist, wie sie die Suche nach dem richtigen Ausdruck in ihrem Schreiben sichtbar macht und dabei das Situative des Theaters selbst mitthematisiert. Und wie dieses Schreiben dabei immer unbequem bleibt und Reibung nicht nur aushält, sondern offensiv einfordert. Bei den Regisseur:innen, die es mit ihm aufnehmen, wie beim Publikum.«
Fotos: Fabian Schellhorn
BEGRÜNDUNG DER JURY
Sivan Ben Yishai ist am Firmament des deutschsprachigen Theaters erschienen wie ein Komet. Seit ihr Stück YOUR VERY OWN DOUBLE CRISIS CLUB 2017 bei den Autor:innentheatertagen am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde, leuchtet sie ihm heim. Die Sache der Frauen ist ihre Sache, die Schmerzpunkte der Gesellschaft sind ihre Sache – und die Sprache ist es erst recht. Die 1978 in Palästina/Israel geborene Dramatikerin hat Theaterregie und szenisches Schreiben in Tel Aviv und Jerusalem studiert und lebt seit 2012 in Berlin. Ihre Stücke wurden am Maxim Gorki Theater Berlin, am Theater Lübeck, am Nationaltheater Mannheim, an den Münchner Kammerspielen, aber auch in Österreich, Helsinki, Luxemburg, Tel Aviv und New York City uraufgeführt und mehrfach nachgespielt.
In Texten wie LIEBE/ Eine argumentative Übung, WOUNDS ARE FOREVER (Selbstportrait als Nationaldichterin) und Like Lovers Do (Memoiren der Medusa) legt Sivan Ben Yishai die Geschichte multipler Verletzungen, internalisierter Rollenklischees und anderer Fehlkonditionierungen offen, wie sie uns allen als Teil des patriarchalen Systems seit Jahrtausenden widerfahren. Weil sie in ihrem fortlaufenden neuen Narrativ, durch das sie die alten versuchsweise ersetzt, auf das Strukturelle insistiert, treten konsequent keine Figuren auf, sondern Pluralitäten, die einen Erzählkörper bilden: 9 Queens, 5 beste Freundinnen, Popeye und Olive - oder „mehrköpfige Monster“, wie sie selbst sie nennt. Mit ihrem Riesengedächtnis für alte Mythen, Popkultur und Zeitgeschichte sind diese „Monster“ eine Art Schmerzsammelbecken, das überläuft. Und das tut es in so brutalen wie poetischen Worten, wie sie keiner anderen Theaterautorin ihrer Generation gelingen. Und dabei sind die Texte, die sie zunächst auf Englisch schreibt, bevor sie von Maren Kames übersetzt und von beiden gemeinsam gefeilt werden, oft noch ziemlich lustig. Das scheinbar Gegensätzlichste zusammenzubringen – und dazwischen Platz für den Zweifel zu lassen – ist überhaupt ihr Ding – Gefühl und Analyse, Kunst und Aktivismus.
Das Prädikat „radikal“ mag überstrapaziert sein. Für die unlängst in der Kritiker:innenumfrage der Zeitschrift „Theater heute“ zur Dramatikerin des Jahres 2022 Gewählte passt es perfekt. Radikal ist ihr Mut, radikal ist, wie sie die Suche nach dem richtigen Ausdruck in ihrem Schreiben sichtbar macht und dabei das Situative des Theaters selbst mitthematisiert. Und wie dieses Schreiben dabei immer unbequem bleibt und Reibung nicht nur aushält, sondern offensiv einfordert. Bei den Regisseur:innen, die es mit ihm aufnehmen, wie beim Publikum.
Die Jury: Yvonne Büdenhölzer (beratend), Carolin Hochleichter (beratend), Sabine Leucht, Matthias Pees, Prof. Dr. Matthias Warstat
Berlin, im März 2023