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Theater

Rückblick: Theaterpreis Berlin an Christoph Marthaler und Anna Viebrock

Veröffentlicht am 10 Mai 2004

Die Stiftung Preußische Seehandlung verlieh den seit 1988 jährlich für herausragende Verdienste um das deutschsprachige Theater ausgelobten „Theaterpreis Berlin“ auf Beschluß der Preisjury im Jahr 2004 gemeinsam an den Regisseur Christoph Marthaler und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock.

Der wurde am 10. Mai 2004 im Rahmen des Berliner Theatertreffens verliehen. Die Verleihung des Preises fand unmittelbar im Anschluß an den Liederabend des Zürcher Schauspiels „O.T. Eine Ersatzpassion“ von Christoph Marthaler im Haus der Berliner Festspiele statt. 

Die Preisurkunden übergab der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, in Anwesenheit der Jury – Hermann Beil, Georg Diez, Jürgen Schitthelm und Joachim Sartorius. Die Laudatio auf die Preisträger hielt Frank Baumbauer, Intendant der Münchner Kammerspiele. 

BEGRÜNDUNG DER JURY

Der „Theaterpreis Berlin“ geht in diesem Jahr gemeinsam an den Regisseur Christoph Marthaler und die Bühnenbildnerin Anna Viebrock. Die Jury ehrt damit eine fast symbiotische Künstlerbeziehung, die seit über zehn Jahren das deutschsprachige Theater entscheidend prägt. Jenseits aller Stile und Richtungen haben Marthaler und Viebrock ihren eigenen Weg gefunden – den einer poetischen Hintertreibung der Welt. Die eine baut Räume, aus denen das Leben entwichen ist; der andere bevölkert diese Räume mit vergessenen Menschen. Die beiden sind Erinnerungskünstler und Menschensammler, die ihren Lieblingsfundstücken mit immer neuer Hingabe dabei zusehen, wie sie schlafend, singend, stolpernd, stürzend das Leben versäumen. Marthaler und Viebrock balancieren dabei in ihrer Arbeit so übermütig wie tiefmelancholisch auf der Grenze von Theater und Welt – und ganz egal, ob sie nun Horvath oder Mozart inszenieren, ob sie die Schweizer ein paar Angstlieder singen lassen oder die Deutschen beim Händeschütteln beobachten: Sie wissen, wie lächerlich das Leben sein kann, sie wissen um die Würde des Scheiterns, und sie lieben und verlachen die Kunst dafür, dass der Mensch sie zu seinem Trost geschaffen hat. Ihr Theater ist politisch, weil sie der Zeit den Stecker herausziehen; ihr Theater ist musikalisch, weil sie dem Klang der Dinge lauschen; ihr Theater ist menschlich, weil sie zarteste Komik und grausamsten Humor verbinden. Wenn Marthaler und Viebrock nun am Ende dieser Spielzeit als Leitung des Zürcher Schauspielhauses aufhören, dann wird man über ihre Zeit dort sagen können, was man überhaupt über den schlingernden, schelmischen Realismus ihres Theaters sagen kann: Es war, wie es war, nur schöner.

Die Jury: Hermann Beil , Georg Diez, Jürgen Schitthelm, Dr. Joachim Sartorius

Berlin im März 2004