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Kunst
Förderung

Rückblick: Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung an Prof. Bernhard Leitner

Veröffentlicht am 15 Feb. 2007

Der Kulturstaatssekretär André Schmitz verlieh am 15. Februar 2007 in der Berlinischen Galerie. Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, den „Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung“ 2007 der Stiftung Preußische Seehandlung an den österreichischen Ton-Raum-Künstler und Autor Bernhard Leitner.

Der 1938 in Feldkirch geborene Bernhard Leitner studierte Architektur in Wien. Ab 1968 lebte er in New York City, war zunächst Urban Designer im Stadtplanungsamt und lehrte danach bis 1981 als Associate Professor an der New York University. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Berlin lebt Leitner heute in Wien, wo er eine Professur für Medienübergreifende Kunst an der Universität für angewandte Kunst inne hat. Seine zahlreichen Ausstellungen, u.a. in New York, Paris, Venedig, Wien, auf der Documenta und nicht zuletzt in Berlin, weisen ihn als einen international renommierten Künstler aus.

Friedlieb Ferdinand Runge-Preis 2007 © gezett

BEGRÜNDUNG DER JURY

Bernhard Leitner vereint viele – spartenübergreifende – Kompetenzen und Tätigkeiten. Ausgehend von einer Ausbildung als Architekt in Wien, ist er in erster Linie ein im Spannungsfeld von Kunst, Technik und Forschung arbeitender Künstler. In den frühen siebziger Jahren prägte er das Konzept einer „Ton:Raum“ – Architektur, einer durch Klänge, Klanglinien, Klangverstrebungen entstehenden hörbaren Architektur und entwickelte dieses Konzept in immer neuen Objekten, Skulpturen und Gestaltungen weiter. Bevor es den Begriff der Klangkunst gab, arbeitete er mit dem Klang - nicht: der Musik - als architektonischem Material, erfand Räume, die nicht visuell, sondern akustisch entstehen, nicht nur mit dem Ohr oder Auge, sondern mit dem ganzen Körper zu hören und zu rezipieren sind, dem Körper als Membran, nicht als Grenze („Sound: Space“,1998). Damit eröffnete er neue Wahrnehmungsformen von Innen und Außen, vertikalen und horizontalen Relationen. Eine der schönsten Arbeiten aus jüngerer Zeit, „Kopfräume“ (Edition ZKM), lässt erfahren, was ein Hören im Innern unseres Kopfes sein kann und dass es andere Maßprinzipien gibt als die geometrisch codierten.

Parallel zu seinem Schaffen zwischen Akustik und Architektur, Ton und Raum, hat Bernhard Leitner außerordentliche Verdienste auf dem Gebiet der Kunst-Vermittlung. Hier arbeitet er auf zwei verschiedenen Ebenen, der pädagogischen und der archäologischen.

Er war Begründer und Leiter der „Urban Design Studies“ an der New York University, eines - ebenfalls spartenübergreifenden – Studienprogramms, das die Zusammenhänge zwischen Stadtplanung und den neuen Mitteln der Umsetzung erkundete (1973-1982), ab 1987 war er Professor für medienübergreifende Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. In dieser Funktion gelang es ihm, die Studierenden so umfassend – auch geisteswissenschaftlich - auszubilden, dass nicht „kleine Leitners“ entstanden, sondern eigenständige junge Künstler. Die vielen Ausstellungen professionellen Charakters, die er seinen Klassen im Stadtraum Wien ermöglichte, dokumentieren dies („Durchblicke“ 2005).  Wie kein anderer vermag Bernhard Leitner „sehen“ zu lehren – zum Beispiel auf den vielen gezielten Architektur- und Ausstellungsreisen mit seinen Meisterklassen, wahren Kavalierstouren im Kunst-Sehen.

Leitners Fähigkeit des ästhetischen Sehens, verbunden mit seinem historisch geschulten Blick, hat ihn zusätzlich auf die Schiene der Entdeckungen und Ausgrabungen geschickt. Ihm ist eine der ersten Publikationen zur NS-Architektur in Amerika zu verdanken – „eigentlich“ beschäftigte man sich aus ästhetischer Sicht nicht mit diesem Regime -, ihm ist auch die erste grundlegende Kritik an der Aneignung der Otto-Wagner-Villa durch Ernst Fuchs in Wien zuzuschreiben. Vor allem aber hat er den Wiener Kinetismus wiederentdeckt und dessen Renaissance entschieden vorangetrieben („Erika Giovanna KLien“, 2001, „Rochowanski“,1995): ein unkonventionelles und aus ästhetischer Überzeugung entstandenes Engagement für die subtilen Formexperimente einer Moderne, deren Künstler zum Teil unter die Räder der Zeitgeschichte gekommen waren.

Legendär geworden ist Bernhard Leitner mit seiner ersten Dokumentation und Rettung des Wittgenstein-Hauses in Wien. Seine detailliert fotografierte und kommentierte Publikation „The Architecture of Ludwig Wittgenstein (1975) hat in Amerika wie in Europa breite Diskussionen hervorgerufen: Wittgensteins Haus, nicht mehr als „gebaute Philosophie“ verstanden, sondern als ästhetisches Phänomen eigenwilliger Prägung nachgewiesen („Das Wittgenstein Haus“,2000).

Die universalistisch angelegte und – trotz geschichtlicher Rückbezüge und steter kritischer Kontextualisierung - immer auf die eigene Erfahrung, die eigene Wahrnehmung, den eigenen Blick vertrauende kreative Persönlichkeit Leitners - vermittelnd und lehrend unterwegs, sein Prestige für die „Unbekannten“ von Rang einsetzend oder auf Korrekturen landläufiger Betrachtungsklischees drängend -, scheint mir den Runge-Preis-Richtlinien in hohem Maß zu entsprechen. Bemerkenswert ist dabei auch die Diskretion dieses Künstlers in der Öffentlichkeit, vielleicht das Ergebnis seiner Doppelbegabung von inniger Bezogenheit auf den ästhetischen Gegenstand und einer genuin kombinatorischen Phantasie.

Die Jurorin: Dr. Nike Wagner

25.09.2006