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Kunst
Förderung

Rückblick: Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung an Dr. h.c. Henning Ritter

Veröffentlicht am 2 Apr. 2005

Der Friedlieb Ferdinand Runge - Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung der Stiftung Preußische Seehandlung ist von der Jurorin Nike Wagner für das Jahr 2005 Dr. h.c. Henning Ritter zuerkannt worden.

Der Preis wurde am 2. April 2005 in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur, verliehen.

Friedlieb Ferdinand Runge-Preis 2005 © gezett

BEGRÜNDUNG DER JURY

Henning Ritter, dem die Universität Hamburg im Jahr 2000 die philosophische Ehrendoktorwürde verliehen hat, ist der sichtbarste Unsichtbare, der unbekannteste Bekannte in Deutschland. Wahrscheinlich auch einer der Klügsten in diesem Land. Mit der enzyklopädische Breite seines Geistes steht er quer zu allen Fachwissenschaftlern, mit der Trenn- und Tiefenschärfe seines Denkens quer zu allen, die öffentlich so dahinreden - Journalisten, Politikern und anderen Meinungsmachern. Seine sprachliche Sicherheit ist an der Sache orientiert, nicht an der Mode, seine ästhetischen und politischen Anschauungen sind von Ethik und Geschichte inspiriert, nicht vom Tagesgeschehen. Henning Ritter ist immer originell, sein Witz – esprit – legendär, er denkt immer anders als alle anderen. Kulturmensch durch und durch, ist er gleich weit entfernt von Schablone und Konvention wie von Imponiergehabe und Aufsässigkeit - darin seltsam balanciert, seltsam „altmodisch“. Im übrigen trägt er Krawatte auch am Strand.

Warum also das gewisse Wahrnehmungsdefizit, was Henning Ritter betrifft, warum nicht schon längst Preise über Preise? Der Grund ist einfach: seine Arbeit besteht in der Vermittlung von Wissenschaft und Kunst an einer Stelle, die sich nicht dafür eignet: die Tageszeitung. Seit 20 Jahren ist Henning Ritter der verantwortliche Redakteur der Seite „Geisteswissenschaften“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Jeden Mittwoch gibt er uns Einblicke und Durchblicke auf die internationale Szenerie von Forschung und Lehre, jeden Mittwoch Reflexionen über der Stand unserer Bildung und Kultur. Man nennt das wohl „Wissenschaftsjournalist“ – aber Ritter ist alles andere als ein „Journalist“. Vielleicht Philosoph, vielleicht Soziologe, vielleicht Historiker, vielleicht Kunstdenker – oder alles in allem. Ritter liebt das 18. Jahrhundert, besonders die Anthropologie und Soziologie der Franzosen, aber auch die anderen europäischen Kulturen, die englische wie die österreichisch-jüdische, er liebt die Kunstwissenschaft - Jacob Burkhardt und Aby Warburg -, er mischt sich aber genauso in die aktuellen Fragen unserer Weltgesellschaft – ob Hirnforschung, Türkeibeitritt, Naturkatastrophe, Terrorismus oder die neue soziale Frage in Deutschland.

In einer Zeit, in der die Geisteswissenschaften allenthalben weggekürzt werden an den Universitäten und das PISA-Gespenst umgeht, in der die Kultur abgebaut, die Bildungsinstitutionen zu Wirtschaftsunternehmen gemacht und der Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien an die Unterhaltung verraten werden – in dieser Zeit also steht Henning Ritter zum Geist - einsam wie Don Quichotte – und vermittelt dessen lebendiges Wirken und Wühlen an ein unübersehbares Publikum, an alle Leser einer der größten Tageszeitungen Deutschlands. Es wird Zeit, dass auch der unsichtbare Urheber dieser Vermittlung wahrgenommen wird, dass man ihm dankt. Der "Friedlieb Ferdinand Runge Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung" findet in Henning Ritter insofern einen besonders unkonventionellen Preisträger, als diesem das Paradox gelungen ist, aus der öffentlichen Sphäre einen heimlichen Lehrstuhl und der Zeitung eine Universität zu machen.

Die Jurorin: Dr. Nike Wagner