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Literatur

Rückblick: Berliner Literaturpreis an Abbas Khider

Veröffentlicht am 19 März 2025

Der Berliner Literaturpreis 2025 wurde am 19.03.2025 im Festsaal des Roten Rathauses durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin und Stiftungsratsvorsitzenden der Stiftung Preußischen Seehandlung, Kai Wegner, an den Schriftsteller Abbas Khider verliehen.

Der Preisträger wurde außerdem durch Prof. Dr. Georg Bertram, Vizepräsident der Freien Universität, auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, berufen, die mit dem Berliner Literaturpreis verbunden ist.

Die Laudatio hielt Insa Wilke. Durch den Abend führte Shelly Kupferberg. Die Bratschistin Simone von Rahden begleitete die Veranstaltung musikalisch mit drei Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Die Replik von Abbas Khider erschien am Montag, den 24.03.25 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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Fotos: Katja Hentschel

Begründung der Jury

Abbas Khider zeigt uns Deutschland aus der Perspektive eines Autors, der zur Weltläufigkeit gezwungen wurde: Haft, Flucht, Asyl und die Mühen des Ankommens in einer neuen Heimat zählen seit seinem Debüt Der falsche Inder (2008) zu den Leitthemen seiner Romane. Ebenso unsentimental wie frei von Zynismus führen diese Bücher auch das Aufwachsen in undemokratischen, von staatlicher Willkür bestimmten Gesellschaften vor Augen.

Von Die Orangen des Präsidenten (2011) und Brief in die Auberginenrepublik (2013) bis Die Ohrfeige (2016) umkreist der 1973 in Bagdad geborene Autor ein Leben, in dem es normal ist, dass Familienangehörige gefoltert werden und dem Terrorismus zum Opfer fallen, in dem Ausbeutung zum Alltag zählt und Bürokratie für eine Existenz im Wartestand sorgt. Dabei kommt Khider der deutschen Gesellschaft buchstäblich immer näher, indem er nicht nur messerscharf, witzig, mit brutal in den Hals zurückgestopftem Lachen, literarisch unbestechlich und mit größter Freundlichkeit die Hürden der Verwaltung und den Alltagsrassismus schildert, sondern ebenso buchstäblich die deutsche Sprache erweitert und bereichert: Deutsch für alle. Das endgültige Lehrbuch (2019) beschäftigt sich mit dem „Ungeheuer“ Deutsch, mit den seltsamen Umlauten und eigentümlichen Deklinationen. Der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph unterbreitet so ironisch wie erhellend Verbesserungsvorschläge – wie in allen seinen Werken offen für Missstände und mit größtem Optimismus, dass die Verhältnisse besser, humaner werden können.

Khider steht exemplarisch für einen Paradigmenwechsel in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Was zunächst als „Gastarbeiterliteratur“, dann als „Migrationsliteratur“ verhandelt wurde, bildet heute keine Randzone mehr, sondern ist ein Zentrum der innovativsten deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft leiden unter dem Zustand einer bewegten Gesellschaft, fühlen sich fremd in ihr und suchen ein Zuhause. Auch in seinem letzten großen Roman Der Erinnerungsfälscher(2022) sensibilisiert uns Abbas Khider für die Bedingungen einer Welt, in der „migrantisch“ zu leben keine Ausnahme ist: Der Protagonist Said Al-Wahid stellt fest, dass seine Vergangenheit in der Erinnerung nur noch aus Bruchstücken besteht und er sich, um vollständig zu sein, erfinden muss. Aber warum eigentlich nicht? „Gäbe es Pillen gegen Erinnerungsverfälschung, Said würde sie nicht einnehmen. Wovon sollten sie ihn heilen? Davon, dass er kein Heimweh und keine Sehnsüchte hat? Oder davon, dass er die Fähigkeit besitzt, die Welt nach Lust und Laune in neue Wirklichkeiten zu verwandeln?“ Abbas Khider ist ein virtuoser literarischer „Erinnerungsfälscher“.

Wir freuen uns auf die kommenden Werke, in denen er die Welt weiter in neue Wirklichkeiten verwandeln wird.

Die Jury

Maja Beckers, Janika Gelinek, Prof. Dr. Steffen Martus, Dr. Wiebke Porombka, Prof. Dr. Julia Weber

Berlin, im Januar 2025